Die eosinophile Ösophagitis (EoE) ist längst keine seltene Erkrankung mehr. In den letzten Jahrzehnten häufen sich die Diagnosen, besonders bei jungen Menschen mit Schluckbeschwerden oder wiederkehrenden Problemen beim Essen. Diese Entwicklung wirft Fragen auf: Warum nimmt EoE so stark zu? Die Epithelbarriere-Hypothese liefert eine spannende Antwort – und rückt die Schutzschichten des Körpers ins Zentrum des Geschehens.
Epithelien von Haut, Lunge und Darm – Schutzschild oder Schwachstelle?
Epithelien sind dünne Zellschichten, die Körperflächen auskleiden. Sie bedecken die Haut, die Schleimhäute der Atemwege, den Magen-Darm-Trakt und eben auch die Speiseröhre. Ihre Aufgabe ist simpel und genial zugleich: Sie sollen schützen, was darunter liegt. Doch das funktioniert nur, solange diese Schicht intakt ist.
In der Lunge sorgt beispielsweise das respiratorische Epithel mit Flimmerhärchen und Schleimproduktion dafür, dass Fremdstoffe effizient abtransportiert werden. Im Darm verhindert eine dichte Zellschicht, dass Krankheitserreger oder Toxine ins Körperinnere gelangen.
Wenn das Epithel lückenhaft oder durchlässig wird, können Reizstoffe, Allergene oder Keime in tiefere Gewebeschichten eindringen. Dort geraten Immunzellen in Aufruhr – chronische Entzündungen können entstehen. Im Fall der EoE bedeutet das: Die Speiseröhre reagiert überempfindlich, meist auf bestimmte Nahrungsmittel, und es kommt zu einer entzündlichen Reaktion mit einer auffälligen Vermehrung von eosinophilen Immunzellen.
Defekte in der Epithelbarriere – Wenn die Schutzschicht wackelt
Die Epithelbarriere-Hypothese liefert eine nachvollziehbare Erklärung für die Entstehung der EoE. Laut dieser Theorie ist der eigentliche Auslöser nicht das Allergen selbst, sondern die Tatsache, dass es überhaupt ins Gewebe eindringen kann. Und das gelingt nur, wenn die Barriere versagt.
Leaky Gut – Wenn der Darm undicht wird
Der Begriff „Leaky Gut“ beschreibt eine gestörte Darmbarriere. Normalerweise verhindern die Darmepithelzellen das unkontrollierte Eindringen von Stoffen aus dem Darmlumen. Bei einem Leaky Gut werden diese Zellverbindungen durchlässig, z. B. durch Stress, Medikamente, Alkohol oder Ernährungsfaktoren. Das Immunsystem reagiert auf Eindringlinge aus dem Darm mit Entzündung – und mit der Zeit kann daraus eine chronische Krankheit entstehen.
Leaky Gullet – Die undichte Speiseröhre
Was im Darm funktioniert, gilt auch für die Speiseröhre. Der Begriff „Leaky Gullet“ steht für eine durchlässige Schleimhaut in der Speiseröhre. Studien zeigen, dass bei EoE-Patienten die Epithelbarriere in der Speiseröhre gestört ist: Weniger schützende Proteine, mehr Entzündungsbotenstoffe und eine übermäßige Reaktion auf harmlose Stoffe.
Andere betroffene Organe: Haut, Atemwege und andere Schleimhäute
Nicht nur Darm und Speiseröhre sind gefährdet. Auch die Haut, die Atemwege und andere Schleimhäute können durch eine gestörte Barrierefunktion anfällig für Allergene und Krankheitserreger werden. Das Spektrum reicht von Asthma über Neurodermitis bis hin zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Es handelt sich um ein übergreifendes Phänomen, das viele chronische Krankheiten miteinander verbindet.
Sind Schäden der Epithelbarriere die Ursache für Allergien?
Die klassische Sichtweise geht davon aus, dass Allergien durch eine übertriebene Immunantwort entstehen. Die Barriere-Hypothese dreht das Bild um: Erst der Schaden an der Schutzschicht macht die übertriebene Reaktion möglich.
Dringen Allergene durch eine undichte Barriere ins Gewebe, ruft das Immunsystem sofort Verstärkung. Es kommt zu einer Entzündungsreaktion, die sich chronisch verfestigen kann. Besonders spannend: Die Zunahme von Allergien in den letzten Jahrzehnten passt auffällig gut zur Zunahme von Barriere-Schäden, die durch Umweltfaktoren, Reinigungsmittel oder Zusatzstoffe in Lebensmitteln verursacht werden.
Bei EoE etwa führt der Kontakt mit bestimmten Nahrungsmitteln zu einer überreaktiven Antwort, obwohl diese Stoffe an sich harmlos sind. Die Schädigung der Epithelzellen ist dabei nicht nur eine Folge der Entzündung – sie ist möglicherweise auch ihr Ausgangspunkt.
Beschädigte Epithelzellen und chronische Erkrankungen – Viel mehr als nur Allergien
Die Folgen einer gestörten Epithelbarriere reichen weit über Allergien hinaus. Laut aktuellen Studien stehen auch Autoimmunerkrankungen, neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer und sogar psychische Krankheiten in Zusammenhang mit einer durchlässigen Schutzschicht. Die Erklärung: Durch die Barriere gelangen nicht nur Allergene, sondern auch Bakterien und Schadstoffe ins Gewebe. Das Immunsystem reagiert – manchmal zu heftig oder gegen die falschen Zielstrukturen.
Beispiele für Krankheiten mit Barriere-Schäden:
- Allergien (z. B. Pollenallergie, Nahrungsmittelallergie)
- Asthma und chronische Lungenerkrankungen
- Neurodermitis und andere Hauterkrankungen
- Zöliakie und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
- Diabetes, rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose
- Parkinson, Alzheimer, Autismus, Depression
Was all diese Krankheiten verbindet, ist eine Kombination aus chronischer Entzündung und gestörter Kommunikation zwischen Immunsystem, Nervensystem und Umwelt.
Ursachen für Barriere-Störungen: Wer sind die Übeltäter?
Die Liste der potenziellen Barriere-Störer ist lang und teilweise erschreckend alltäglich:
Die Liste der Barriere-Killer ist lang – und viele stammen aus dem modernen Alltag:
- Reinigungs- und Waschmittel, Spülmittel, Tenside
- Emulgatoren und Konservierungsmittel in verarbeiteten Nahrungsmittel
- Zigarettenrauch, Autoabgase, Feinstaub, Ozon
- Nanopartikel, Mikroplastik, Pestizide, Herbizide, Enzyme
- Übertriebene Hygiene, häufige Desinfektion
- Antibiotikaeinsatz (auch in der Tierhaltung)
- Ungesunde Ernährung, Alkohol
- Psychischer Stress
Diese Substanzen greifen die Epithelien direkt an oder verändern die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften (Mikrobiom) auf Haut und Schleimhäuten. Die Folge: Wenn die Schutzmechanismen geschwächt sind, beginnt eine Art „stille Eskalation“ im Inneren des Körpers.
FAQ
Was sind Epithelbarrieren?
Epithelbarrieren sind dünne Zellschichten, die Körperflächen auskleiden. Sie trennen das Körperinnere von der Außenwelt und regeln, was hinein- oder hinausgelangen darf.
Was macht ein Epithel zur Barriere?
Ein Epithel wird zur Barriere durch enge Zellverbindungen, sogenannte Tight Junctions, sowie durch schützende Substanzen wie Muzine und antimikrobielle Peptide. Diese Strukturen verhindern, dass Fremdstoffe unkontrolliert ins Gewebe eindringen.
Was ist die Epithelbarriere im Magen?
Die Magenbarriere besteht aus einer dicken Schleimschicht, speziellen Zellen und einem niedrigen pH-Wert. Sie verhindert, dass Magensäure die Magenwand angreift. Ist sie gestört, drohen Gastritis oder Magengeschwüre.
Gibt es Therapien zur Stärkung der Barriere?
Eine ausgewogene Ernährung, der Verzicht auf schädliche Chemikalien, der Schutz vor Umweltgiften und die Pflege eines gesunden Mikrobioms können helfen, die Epithelbarriere zu erhalten.
Kann eine gestörte Barriere wieder repariert werden?
Der Körper verfügt über Reparaturmechanismen, doch bei ständiger Belastung durch Schadstoffe geraten diese an ihre Grenzen. Die Forschung sucht nach Möglichkeiten, die Barriere gezielt zu stärken.
Quellen
Leaky Gut durch Waschmittel? Die Epithelbarriere-Hypothese
EoE: Können Reinigungsmittel die Ursache für eine gestörte Epithelbarriere sein?
Rosenfluh.ch: Wie Spülmittel und Emulgatoren die Epithelbarriere schädigen
IMD Berlin: Serummarker zum Nachweis einer gestörten Darmbarriere